Dem Tode von der Schippe

Soeben komme ich von meiner täglichen Hunderunde zurück. Diesmal musste ich nicht um mein Leben fürchten. Vorgestern allerdings war es ziemlich knapp: Hinter unserem Grundstück liegt die Rinderweide vom benachbarten Bauernhof. Wir gehen auf unseren Spaziergängen gerne daran vorbei Richtung Wald. Auf der Weide steht eine bunt gemischte Mutterkuh-Herde mit Kälbchen und imposantem Bullen. Jedes Mal, wenn ich diesen Weg nehme, schaue ich bang nach den Rindern und traue mich nur an ihnen vorbei, wenn der Bulle auf der Mitte der Weide, also weit weg vom Zaun steht.

Vorgestern stand der Bulle schön weit weg vom Zaun, nur eine Kuh graste friedlich nahe des kniehohen (also wirklich lächerlichen) Stacheldrahtzauns. Ich ging mit möglichst unbeteiligtem Gesichtsausdruck an der riesigen Kuh vorbei, bewegte mich langsam, atmete ein und aus und tat, als wäre es ganz normal, an huf- und hornbewehrten Riesentieren vorbeizuflanieren. Die Kuh aber fand das gar nicht normal und begann, kaum dass ich an ihr vorbeigelaufen war, mir nachzusetzen. Der Boden donnerte. Die Hufe wirbelten. Hund Kalle schaute verwirrt und fing an zu rennen. Das hielt ich für eine gute Idee und hetzte mit gazellengleichen Sprüngen über den benachbarten Acker. Ich hatte wirklich große Angst. Als die Kuh aber sah, dass wir von ihrer Vorstellung beeindruckt waren, ließ sie von uns ab und fing wieder an zu grasen. Ich klopfte mir den aufgewirbelten Staub von der Hose, richtete die Frisur und schritt klopfenden Herzen am Rest der  Herde vorbei. Wir kamen heil zu Hause an und nun weiß ich: Vor dem Bullen muss man nicht so viel Angst haben wie vor einer gelangweilten Mutterkuh.

Böse Kuh